Jüdische Gemeinde Bad Neustadt a.d. Saale

1933 zählte die jüdische Gemeinde in Neustadt a.d. Saale 172 Personen.* Ihre Wurzeln reichen bis 1298 zurück, als im Rahmen eines überregionalen Pogroms wie auch ein halbes Jahrhundert später Neustädter Juden ums Leben kamen. Sporadisch werden in den beiden folgenden Jahrhunderten ebenfalls jüdische Bewohner erwähnt. Erst von der Mitte des 17. Jahrhunderts an bis etwa 1820 wohnten jeweils vier bis acht jüdische Familien kontinuierlich in der Stadt. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde dann bis auf 219 Personen im Jahr 1895 an und gründete 1853 auch offiziell eine Kultusgemeinde. Die ursprünglich größere Kultusgemeinde im benachbarten Neuhaus schrumpfte gleichzeitig und löste sich schließlich auf. Das Wachstum der Neustädter Kultusgemeinde endete um 1900. Im Jahr 1925 hatte sie noch 162 Gemeindemitglieder. Seit 1938 gehörten auch die jüdischen Bewohner:innen von Rödelmaier und Eichenhausen, wo 1933 keine eigenständigen Gemeinden mehr existierten, der Bad Neustädter Gemeinde an.

Systematische Entrechtung, wirtschaftliche Boykotte und der wachsende Verfolgungsdruck veranlassten mehr als die Hälfte der jüdischen Gemeinde ab 1933 zur Aus- und Abwanderung. Höhepunkt der Abwanderungswelle waren die Jahre 1937 bis 1939. Die rücksichtslose Beschlagnahmung der Synagoge im September 1938 und der Novemberpogrom trugen dazu bei, obwohl letzterer vergleichsweise glimpflich ablief. 13 Männer wurden verhaftet. 85 Gemeindemitgliedern gelang zwischen 1933 und 1941 die Flucht aus Bad Neustadt oder anderen Orten in Deutschland ins sichere Ausland, in die USA (35), nach Großbritannien (12), Argentinien (8), Paraguay (7), Palästina (6), in die Schweiz (5), nach Jugoslawien, Südafrika oder Kuba (je 2), Frankreich (1) oder zu unbekannten Zielen (2). Die Niederlande, wohin zehn Menschen flohen, erwiesen sich als Falle – die meisten von ihnen wurden von dort deportiert. Viele Flüchtlinge, die in Ländern Mittel- und Südamerikas aufgenommen worden waren, wanderten von dort später in die USA aus. 35 jüdische Bewohnerinnen und Bewohner von Neustadt zogen innerhalb Deutschlands insgesamt um, unter anderem nach Frankfurt am Main (8), Meiningen (7), Würzburg (4) und Mainz (3). 20 Personen verstarben zwischen 1933 und 1942 in Bad Neustadt oder an ihren neuen Wohnorten.

37 Jüdinnen und Juden, die dort 1933 gelebt hatten, wurden im April 1942 von Bad Neustadt über Würzburg nach Krasniczyn im besetzten Ostpolen deportiert. Das gleiche Schicksal ereilte sechs weitere Menschen, die im Juli und August 1942 nach Würzburg gebracht und von dort im September nach Theresienstadt verschleppt wurden. Weitere vier Menschen hatten bereits vor der Deportationsphase ihren Heimatort verlassen und wurden aus Trappstadt und Würzburg abtransportiert. Die Zahl der aus Unterfranken Deportierten beläuft sich damit auf 47 (die Anzeige auf der DenkOrt-Seite ist nicht mehr ganz aktuell). 18 Jüdinnen und Juden wurden von ihren neuen Wohnorten in Deutschland (10) und den Niederlanden (8) deportiert und ermordet. Dazu eine Frau, die Opfer der Krankenmorde wurde. Eine Jugendliche, die in die Niederlande emigriert war, überlebte als einzige ihrer Familie nach ihrer irrtümlichen Internierung und der Entlassung aus dem KZ Vught im Versteck und emigrierte nach der Befreiung in die USA. Bad Neustadt hat demnach 66 Opfer der Shoa zu beklagen, darunter 18 Kinder und Jugendliche. Hinzu kommen elf Menschen, die 1933 noch nicht in Neustadt wohnten, jedoch von dort deportiert wurden. An sie wird im Rahmen des DenkOrt-Projekts an dem Ort erinnert, wo sie 1933 ihren Wohnsitz hatten.

Bad Neustadt a.d. Saale beteiligt sich mit zwei Koffern am Projekt „DenkOrt Deportationen“. Das lokale Gepäckstück erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden von Bad Neustadt, Eichenhausen und Rödelmaier. Der zweite Koffer befindet sich in Würzburg und bildet mit den Gepäckstücken anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zu den jüdischen Gemeinden und zum “DenkOrt”. 

Der DenkOrt in Bad Neustadt a.d. Saale befindet sich hinter der Fußgängerbrücke über die Brend zwischen Marktplatz und Bahnhof – an der Strecke des Deportationszuges vom 22. April 1942.

Ausführliche Informationen zur jüdischen Gemeinde Bad Neustadt a.d. Saale 
Quellen zu den Gemeindeartikeln

© Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries, mit Unterstützung von Elisabeth Böhrer

* Die üblicherweise genannte Zahl von 158 jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern in Neustadt a.d. Saale geht auf eine Aufstellung aus der Zeit nach 1945 zurück. Darin fehlen jedoch eine fünfköpfige Familie und eine Reihe von Personen, die ab 1933 verstorben sind. Ferner werden hier nach 1933 geborene Kinder und solche Angehörigen mitgezählt, die trotz Abwesenheit 1933 mit zur Familie gehörten.

Shoa-Opfer, die 1933 in Neustadt a.d. Saale gelebt hatten

Klara Ackermann (1899 – 1942)
Max Ackermann (1902 – 1942)
Betty Adler, geb. Klau (1854 – 1942)
Frieda Blatt, geb. Stein (1890 – 1944)
Moses Blatt (1868 – 1944/45)
Meta Brunngässer, geb. Frühauf (1875 – 1942)
Max Frank (1876 – 1942)
Sofie Frank, geb. Löbenfried (1886 – 1942)
Albert Haas (1926 – 1942)
Hermann Haas (1895 – 1942)
Selma Haas, geb. Goldner (1902 – 1942)
Emma Kach, geb. Gundelfinger (1884 – 1942)
Selma Kach, geb. Gundelfinger (1885 – 1940)
Max Kahn (1894 – 1941/44)
Leopold Katzenstein (1863 – 1942)
Gittel Kaufmann (1941 – 1942)
Hermann Kaufmann (1931 – 1942)
Karola Kaufmann (1928 – 1942)
Richard Kaufmann (1924 – 1942)
Sophie Kaufmann, geb. Frank (1901 – 1942)
Willi Kaufmann (1896 – 1942)
Gretel Klein, geb. Heinemann (1899 – 1942)
Hugo Klein (1898 – 1942)
Rosa Klein, geb. Steinhäuser (1890 – 1942)
Siegbert Klein (1925 – 1942)
Herbert Löwenstein (1920 – 1942/45)
Bernhard Lustig (1921 – 1945)
Irma Lustig, geb. Löwenthal (1891 – 1944)
Hans Neter (1931 – 1943)
Ilse Neter (1924 – 1943)
Karl Neter (1925 – 1943)
Mally/Malchen Neter, geb. Heimann (1896 – 1943)
Max Neter (1889 – 1943)
Philipp Oppenheimer (1875 – 1942)
Sally Oppenheimer (1922 – 1942/45)
Sara Oppenheimer, geb. Bacharach (1888 – 1942)
Alfred Ottensoser (1937 – 1942)
Emil Ottensoser (1897 – 1942)
Herbert Ottensoser (1938 – 1942)
Hilde Ottensoser (1933 – 1942)
Max Ottensoser (1899 – 1942)
Meta Ottensoser, geb. Gerendasi (1907 – 1942)
Mina Ottensoser, geb. Heippert (1897 – 1942)
Norbert Ottensoser (1905 – 1942)
Paula Ottensoser, geb. Braun (1898 – 1942)
Senta Ottensoser (1929 – 1942)
Betty Reis, geb. Walter (1871 – 1944)
Gertrud Reis, geb. Reis (1902 – 1942)
Marianne Schloßmann (1861 – 1942)
Käthe Schreiber, geb. Reis (1905 – 1941)
Clara Sommer, geb. Reis (1888 – 1943)
Hans Sommer (1922 – 1942)
Hilde Sommer (1924 – 1942)
Joseph Sommer (1890 – 1943)
Anna Stern, geb. Blum (1871 – 1942)
Theodor Stern (1896 – 1943)
Bella Wahler, geb. Adler (1878 – 1942)
Israel Wahler (1875 – 1942)
Gertrud Weiler (1914 – 1942)
Arthur Weinstock (1887 – 1942)
Else Weinstock, geb. Waldmann (1896 – 1942)
Gerhard Weinstock (1926 – 1942)
Klara Weinstock (1864 – 1942)
Lothar Weinstock (1931 – 1942)
Rosa Weinstock, geb. Stein (1887 – 1942)
Sigmund Weinstock (1875 – 1942)

Überlebende
Annelies(e) Lustig, verh. Herzl (geb. 1924)

Nach 1933 Zugezogene, die aus Bad Neustadt deportiert wurden

Lotte Edelstein, geb. Reis (1868 – 1943)
Flora Gerendasi, geb. Nelkenstock (1872 – 1943)
Irene Katz (1889 – 1942)
Paula Katz (1888 – 1942)
Fanny Straus, geb. Gessner (1871 – 1942)
Herbert Straus (1930 – 1942)
Justin Straus (1902 – 1942)
Kurt Straus (1934 – 1942)
Paula Straus, geb. Frei (1899 – 1942)
Susanne Straus (1937 – 1942)
Rosa Weinberg (1895 – 1942)