Jüdische Gemeinde Niederwerrn

1933 zählte die jüdische Gemeinde in Niederwerrn 43 Personen. Dabei hatte sie einmal zu den größten Gemeinden im heutigen Unterfranken gehört. Denn nach der Vertreibung der Juden aus Würzburg und Schweinfurt im 16. Jahrhundert entstanden seit dem 17. Jahrhundert in deren unmittelbarer Nähe in Heidingsfeld und Niederwerrn neue jüdische Zentren. Seit der Mitte des Jahrhunderts residierte der Oberrabbiner für die Judenschaft des Fürstbistums Würzburg und zugleich die ritterschaftlichen Juden des Unterlandes in Heidingsfeld. Er wurde von einem Unterrabbiner in Niederwerrn für die ritterschaftlichen Juden unterstützt. Im 19. Jahrhundert, als die Rabbinate neu zugeschnitten wurden, stieg Niederwerrn von 1840 bis 1864 zum Sitz des nunmehrigen Distriktsrabbiners auf, bis dieser seinen Sitz nach Schweinfurt verlegte. Die Blütezeit der Jüdischen Gemeinde Niederwerrn endete – genauso wie die der Gemeinde in Heidingsfeld.

Seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten sich vereinzelt jüdische Familien unter dem Schutz der Freiherren von Münster auf deren Grund niedergelassen. Es entstand ein sogenannter „Judenhof“. Gemeinsam mit anderen Gemeinden nutzten die Niederwerrner Jüdinnen und Juden den Friedhof im benachbarten Euerbach. Bedeutung und Selbstbewusstsein ihrer Gemeinde spiegelt sich vor allem in der großen, 1785/86 nach Heidingsfelder Vorbild erbauten Synagoge, sowie dem repräsentativen Schulhaus aus dem 19. Jahrhundert, in dem sich heute das Rathaus befindet.

Um 1800 lebten 54 jüdische Familien mit 237 Personen im Ort, 1817 waren es 70 Haushalte. 1832 erreichte die Gemeinde mit 308 Mitgliedern ihre maximale Größe. Schon kurz nach der Wiederbegründung einer Gemeinde im nahen Schweinfurt sank die Zahl der Niederwerrner Gemeindemitglieder 1867 auf 207. Kontinuierlich setzte sich dieser Prozess fort, bis im Jahr 1925 nur noch 51 jüdische Menschen in Niederwerrn wohnten. Seit 1901 gehörten auch die in Geldersheim lebenden Jüdinnen und Juden zur Gemeinde in Niederwerrn.

Schon früh setzten ab 1933 Verfolgungsmaßnahmen im Ort ein, wiederholt wurden Fenster eingeworfen und Menschen dabei verletzt. Im Novemberpogrom 1938 verwüsteten auswärtige SA-Leute und lokale Parteigänger alle jüdischen Häuser und die Synagoge, zwei Frauen wurden misshandelt bzw. vergewaltigt. Es folgte der Zwangsverkauf aller Immobilien, die jüdischen Ortsbewohner wurden in einem Haus zusammengepfercht.

Die systematische Entrechtung und wirtschaftliche Boykotte veranlassten zusammen damit viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde ab 1934 zur Ab- und Auswanderung aus Niederwerrn. Zwölf Menschen verzogen in andere Orte des Reiches, von wo jedoch nur noch drei ins Ausland fliehen konnten. Mit ihnen gelang insgesamt 19 Gemeindemitgliedern aus Niederwerrn die Emigration, in die USA (10), nach Kuba (3, ein Mann starb auf der Überfahrt), Palästina (3) und Südafrika (2). Ein Mädchen gelangte mit einem Kindertransport nach England. Sieben Personen starben zwischen 1934 und 1942 in Niederwerrn und in Würzburg eines natürlichen Todes.

Sechs Menschen wurden von ihren neuen Wohnorten aus deportiert, ein Mann erlitt ein individuelles Verfolgungsschicksal, eine psychisch kranke Frau wurde aus einer Heil- und Pflegeanstalt deportiert. Größer war die Zahl derjenigen, die die Transporte aus Unterfranken besteigen mussten – die Liste der hier angezeigten Namen ist jedoch nicht ganz aktuell: Eine Frau wurde im April 1942 aus Niederwerrn über Würzburg nach Krasniczyn im besetzten Ostpolen deportiert. Eine dreiköpfige Familie, die 1933 noch nicht in Niederwerrn gewohnt hatte, erlitt das gleiche Schicksal. Ebenso eine Frau, die zu den Shoa-Opfern von Obbach gezählt wird, weil sie 1936 dorthin geheiratet hatte. Weitere sieben Menschen wurden im September 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Von ihnen hatten drei bereits zuvor in Würzburg gewohnt, die übrigen wurden wenige Tage vor der Deportation nach Schweinfurt und von dort nach Würzburg gebracht. Niemand der Deportierten überlebte. Somit sind für Niederwerrn mindestens 16 Opfer der Shoa zu beklagen, darunter zwei Kinder.

Niederwerrn beteiligt sich mit zwei Koffern am Projekt „DenkOrt Deportationen“. Das lokale Gepäckstück erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden des Ortes. Der zweite Koffer befindet sich in Würzburg und bildet mit den Gepäckstücken anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zum “DenkOrt” und zu den Deportationen.

Angaben zum Standort des DenkOrts in Niederwerrn folgen zu gegebener Zeit.

Ausführliche Informationen zur jüdischen Gemeinde Niederwerrn
Quellen zu den Gemeindeartikeln

© Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries, 2025; mit Unterstützung von Elisabeth Böhrer

 

Shoa-Opfer, die 1933 in Niederwerrn gelebt hatten

Manfred Ackermann (1909 – 1940)
Jeanette Bildstein, geb. Stern (1867 – 1942)
Adolf Gottlob (1874 – 1944)
Therese Gottlob, geb. Liebmann (1875 – 1944)
Karoline Gutmann, geb. Gutmann (1858 – 1943)
Rosa Hammelburger (1884 – 1944)
Simon Hammelburger (1859 – 1942)
Betty Heilbrunn, geb. Steinheimer (1883 – 1942)
Luise Heßlein, geb. Eckstein (1878 – 1942)
Julius Neuberger (1905 – 1945)
Klara Schatzmann (1862 – 1943)
Rosa Steinheimer (1870 – 1945)
Bella Theilhaber (1938 – 1941/1942)
Gilda Theilhaber, geb. Moritz (1904 – 1941/1942)
Harry Theilhaber (1900 – 1941/1942)
Ingeborg Theilhaber (1933 – 1941/1942)