Jüdische Gemeinde Bad Kissingen

Knapp 300 jüdische Bürgerinnen und Bürger zählte die Kurstadt Bad Kissingen im Jahr 1933. Wenig glaubwürdig ist dagegen die erste Erwähnung Kissinger Juden als Pogromopfer im Jahr 1298. Erst seit dem 16. und dann vor allem dem 17. Jahrhundert belegen die Quellen eine kontinuierliche Ansiedlung unter dem Schutz der Herren von Erthal und dann auch der Würzburger Fürstbischöfe. Die jüdische Gemeinde konnte 1705 ein Synagogengebäude errichten, in dem eine Jeschiwa bestand. Drei weitere Synagogenbauten sollten in den nächsten beiden Jahrhunderten noch folgen.

1817 registrierten die Behörden 34 jüdische Haushalte mit etwa 160 Personen, von denen die meisten im Viehhandel tätig waren. Bis 1880 stieg ihre Zahl auf mehr als das Doppelte. Die jüdische Bevölkerung hatte starken Anteil am Kurbetrieb der Stadt, der auch viele jüdische Kurgäste aus dem In- und Ausland anlockte. Jüdische Kureinrichtungen wurden gegründet. Seit 1840 befand sich in der Stadt ein Distriktsrabbinat.

Zwischen 1933 und dem Novemberpogrom 1938 verließen fast Zweidrittel der Kissinger Jüdinnen und Juden die Stadt, meist junge Menschen und Familien mit Kindern. Denn sehr viele von ihnen lebten von Fremdenverkehr und Kurbetrieb, die unter den NS-Wirtschaftsboykotten zusammenbrachen. Es zogen aber auch Personen zu, unter anderem als Saisonkräfte in den verbliebenen jüdischen Kureinrichtungen. 163 Personen gelang es seit 1933, ins sichere Ausland zu emigrieren – direkt aus Bad Kissingen oder von neuen Wohnorten aus. Die meisten von ihnen flohen in die USA, nach Palästina sowie nach England. Die häufigsten Ziele in Deutschland waren größere Städte wie Frankfurt a.M. oder Berlin. 43 Gemeindemitglieder starben seit 1933 eines natürlichen Todes. Im Februar 1942 waren von der einst großen Gemeinde mit ihrem blühenden kulturellen Leben nur noch 41 Personen übrig.

23 jüdische Bürgerinnen und Bürger Bad Kissingens wurden im April 1942 über Würzburg nach Krasniczyn im besetzten Ostpolen deportiert. Die Zurückbleibenden schoben die Behörden im Mai 1942 nach Würzburg ab. Von dort wurden sie im September 1942 nach Theresienstadt deportiert.

So wurden insgesamt 42 Menschen, die 1933 in Bad Kissingen gelebt hatten, aus Unterfranken deportiert. 30 weitere ereilte dieses Schicksal an ihren Zufluchtsorten in Deutschland und in den Niederlanden. Sechs Menschen starben aufgrund individueller Verfolgung, als Opfer der Krankenmorde oder begingen Suizid. Nur zwei Frauen überlebten die Deportationen. Insgesamt ist also von 76 Opfern der Shoa auszugehen, die 1933 in der Kurstadt gelebt hatten – darunter drei Kinder und Jugendliche

Das Deckenrollen-Denkmal in Bad Kissingen, das eine dortige Drechslerklasse anfertigte, erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden der Stadt wie auch an einen Mann, der im damals noch selbständigen Garitz wohnte. Eine zweite Deckenrolle befindet sich in Würzburg und bildet zusammen mit den Gepäckstücken anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen 1941-1944” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zu den jüdischen Gemeinden und zum “DenkOrt”.

Die Deckenrolle in Bad Kissingen befindet sich in der Maxstraße 23, auf dem Platz vor der ehemaligen Synagoge.

Ausführlichere Informationen zur jüdischen Gemeinde Bad Kissingen
Quellen zu den Gemeindeartikeln
Weitere Quelle: Biographisches Gedenkbuch der Bad Kissinger Juden, hg. von der Stadt Bad Kissingen, bearb. durch Rudolf und Marlies Walter.

© 2021: JSZ, Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries; Überarbeitung und Liste der Shoa-Opfer 2024: Rotraud Ries

Shoa-Opfer, die 1933 in Bad Kissingen gelebt hatten

Hirsch Adler (1875 – 1942)
Jeanette Adler (1873 – 1944)
Suse Adler (1920 – 1942)
Therese Adler, geb. Rosenthal (1887 – 1942)
Ella Apolant (1871 – 1944)
Irene Appel, geb. Löwenthal (1904 – 1943)
Kehla Bamberger (1893 – 1942)
Nannette Bamberger, geb. Guendel (1870 – 1942)
Babette/Betti Bauer, geb. Schloß (1884 – 1942)
Hermann Baumblatt (1864 – 1942)
Sara Baumblatt, geb. Neuburger (1867 – 1942)
Heinrich Benedick (1885 – 1941/44)
Fanny Bloemendal, geb. Neustadt (1879 – 1943)
Josef Bloemendal (1912 – 1944)
Manfred Bloemendal (1907 – 1944)
Siegfried Bloemendal (1880 – 1943)
Klara Dreifuß, geb. Schloß (1868 – 1942)
Klara Frank, geb. Ansbacher (1863 – 1936)
Lazarus Frank (1862 – 1942)
Margarete Friedmann, geb. Dammann (1886 – 1942)
Otto Goldstein (1889 – 1933)
Sigmund Grünebaum (1872 – 1943)
Erna Lucie Gutmann, geb. Haas (1890 – 1942)
Felix Gutmann (1876 – 1942)
Lina Hamburger, geb. Reich (1865 – 1942)
Selma Hartmann, geb. Stern (1876 – 1942)
Theo David Hartmann (1883 – 1942)
Adele Heymann, geb. Baum (1866 – 1943)
Solms Heymann (1858 – 1942)
Luis Hofmann (1871 – 1933)
Hermann Holländer (1878 – 1938)
Nanette Holländer, geb. Stern (1873 – 1942)
Leopold Jakob (1883 – 1941/44)
Emma Kissinger (1875 – 1942)
Emilie Kugelmann (1868 – 1942)
Salomon Leuthold (1862 – 1943)
Daniel Liebmann (1876 – 1942)
Gustl Anna Liebmann, geb. Kaufmann (1885 – 1942)
Isidor Löwenstein (1896 –1942)

Hannchen Löwenthal, geb. Oberzimmer (1855 – 1942)
Hedwig Löwenthal/Löbenthal, geb. Rosenau (1869 – 1944)
Ludwig Löwenthal (1898 – 1944)
Selma Löwenthal (1889 – 1943)
Willi Löwenthal (1928 – 1944/45)
Else Löwinski (1883 – 1942)
Herta Losmann (1893 – 1942)
Josef Losmann (1891 – 1942)
Amalie Mann (1867 – 1943)
Sabina Mann (1870 – 1944)
Sophie Mann (1869 – 1943)
Helene Mayer, geb. Lissberger (1875 – 1944)
Irma Mayer, geb. Bretzfelder (1895 – 1944)
Sally Mayer (1889 – 1944)
Regina Mendelsohn, geb. Berg (1888 – 1944)
Irene Müller, geb. Hofmann (1898 – 1942)
Leopold Müller (1889 – 1942)
Alfred Münz (1897 – 1944)
Philipp Pinkus Münz (1864 – 1944)
Ida Neuburger, geb. Löwenthal (1889 – 1942)
Julius Neumann (1894 – 1942)
Karl Neumann (1860 – 1942)
Ernst Neustädter (1926 – 1942)
Gustav Neustädter (1892 – 1942)
Paula Neustädter, geb. Bacharach (1896 – 1942)
Flora Pappenheimer, geb. Kugelmann (1880 – 1942)
Karl Pappenheimer (1875 – 1942)
Martha Rosner, geb. Dannheimer (1873 – 1942)
Klara Scher (1894 – 1942)
Benedikt Schloß (1875 – 1943)
Thekla Schloß (1902 – 1943)
Hedwig Seelig (1878 – 1942/45)
Rosa Seelig (1880 – 1942/45)
Anna Stern (1924 – 1942)
Thekla Stern (1891 – 1942)
Siegfried Wahle (1869 – 1941)
Therese Wittekind (1864 – 1940)

Überlebende der Deportationen
Rose Löwenthal, geb. Kohn (1901 – 2000)
Emilie Schloß, geb. Holländer (1875 – 1947)