Jüdische Gemeinde Mittelsinn
108 jüdische Bürgerinnen und Bürger lebten 1933 in Mittelsinn. Um 1700 erfährt man von den beiden ersten jüdischen Familien, ihre Zahl wuchs bis 1766 auf 24. Denn jeder der drei Ortsherren wollte am Judenschutz verdienen. 1817 wurden 15 jüdische Haushalte registriert – möglicherweise nur von den bayerischen Behörden. Denn es gab bis 1860 einen bayerischen und einen hessischen Ortsteil. Die meisten jüdischen Haushalte waren nur wenig vermögend. Nach der Vereinigung des Ortes zählte man 1867 32 jüdische Familien mit 162 Personen. Erst um 1900 begann die jüdische Gemeinde Mittelsinns zu schrumpfen.
In den ersten Jahren der NS-Verfolgung verließen nur fünf jüdische Bewohnerinnen und Bewohner den Ort – wohl um zu emigrieren. Allerdings verstarben zwischen 1933 und 1937 zwölf Gemeindemitglieder. Antisemitische Übergriffe im Frühjahr 1938 und vor allem die brutalen Ausschreitungen während des Novemberpogroms veranlassten die verbliebenen 91 Mittelsinner Jüdinnen und Juden zur Flucht, die meisten noch im November 1938. Die letzten verließen den Ort Anfang Februar 1939. Mindestens 58, wahrscheinlich aber mehr Personen wandten sich nach Frankfurt, einige zogen in (unter)fränkische Orte wie Aschaffenburg (7), Homburg und Geroda (je 3), Würzburg und Fischach (je 2). An ihren neuen Wohnorten starben sechs Menschen und vermutlich bis zu fünf weitere, die nicht deportiert wurden, aber angesichts ihres hohen Alters von etwa 80 Jahren wohl nicht mehr emigrieren konnten. Vier Personen wanderten von Mittelsinn in die USA und drei nach Kuba aus, bis zu 25 weitere Menschen emigrierten wohl von ihren neuen Wohnorten, darunter einer nach Shanghai.
Aus Unterfranken wurden neun Menschen deportiert, die 1933 in Mittelsinn gelebt hatten. Mindestens 43 weitere Personen traf dieses Schicksal in anderen deutschen Städten, darunter an erster Stelle Frankfurt a.M. Ein Mann wurde aus Belgien deportiert. Niemand überlebte. Mittelsinn hat demnach mindestens 53 Opfer der Shoa zu beklagen, darunter sieben Kinder und Jugendliche.
Das Koffer-Denkmal in Mittelsinn erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden des Ortes. Ein zweiter Koffer aus Mittelsinn steht in Würzburg und bildet zusammen mit denen anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zu den jüdischen Gemeinden und zum “DenkOrt”.
Standort des Gepäckstücks: Schulhof gegenüber dem Standort der ehemaligen Synagoge
Ausführlichere Informationen zur jüdischen Gemeinde Mittelsinn
Quellen zu den Gemeindeartikeln
© JSZ, Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries
Shoa-Opfer, die 1933 in Mittelsinn gelebt hatten
Jakob Baumann (1873 – 1943)
Jeanette Baumann, geb. Hecht (1865 – 1943)
Else Gerson (1901 – 1942)
Klara Gerson (1862 – 1942)
Minna Gerson, geb. Gundersheimer (1865 – 1942)
Sofie Gerson (1897 – 1942)
Ilse Hamburger, geb. Kahn (1917 – 1942)
Besse Herz, geb. Gerson (1900 – 1942/1945)
Marta Herz (1921 – 1942/1945)
Moses Herz (1885 – 1942/1945)
Isidor Hirschhorn (1906 – 1942)
Berta Kahn, geb. Gundersheimer (1890 – 1942)
Clara Kahn, geb. Goldner (1894 – 1943)
Elsbeth Kahn (1925 – 1942/1945)
Friedl Kahn (1929 – 1942)
Helene Kahn, geb. Rosenthal (1881 – 1943)
Ida Kahn (1888 – 1942/1944)
Isaak Kahn (1903 – 1942)
Josef Kahn (1877 – 1943)
Löb Kahn (1858 – 1942)
Martha Kahn (1919 – 1942)
Max Kahn (1892 – 1942)
Meier Kahn (1891 – 1943)
Mina Kahn, geb. Sommer (1865 – 1942)
Moses Kahn (1881 – 1942/1945)
Paula Kahn, geb. Berg (1894 – 1942/1945)
Selma Kahn, geb. Mandelbaum (1898 – 1942)
Sophie Kahn (1887 od. 1884 – 1942/1945)
Susi Kahn (1931 – 1942)
Toni Thekla Kahn (1927 – 1927)
Willy Kahn (1893 – 1942)
Johanna Levi, geb. Herzfeld (1890 – 1942)
Josef Levi (1894 – 1942)
Sara Levi (1859 – 1942)
Minna Marx (1892 – 1944)
Moses Neumann (1882 – 1941/1942)
Benno Nußbaum (1912 – 1942/1945)
Berta Nußbaum (1873 – 1943)
Elsa Moritz Nußbaum (1905 – 1942/1945)
Leopold Louis Nußbaum (1872 – 1942)
Fanny Rosenthal, geb. Friedmann (1884 – 1942)
Nathan Rosenthal (1882 – 1942)
Berta Stein, geb. Rosenthal (1913 – 1942)
Alfred Strauß (1931 – 1941/1945)
Hedwig H. Strauß, geb. Kahn (1894 – 1941/1942)
Isaak Strauß (1882 – 1942)
Mina Strauß, geb. Baumann (1896 – 1942)
Miriam Strauß, geb. Stern (1896 – 1941/1945)
Rosa Strauß (1926 – 1941/1942)
Siegfried Strauß (1900 – 1941/1945)
Walter Strauß (1928 – 1941/1945)
Willi Strauß (1902 – unbekannt)