Jüdische Gemeinde Giebelstadt
1933 zählte die jüdische Gemeinde in Giebelstadt 41 Personen. Mit 14, später 16 Kindern und Jugendlichen war sie im Vergleich zu anderen Gemeinden jung. Eine sechsköpfige Familie galt nach NS-Rassegesetzen als konfessionell gemischt, nach der Religionszugehörigkeit waren ihre Mitglieder jedoch alle jüdisch. Die Wurzeln der Gemeinde reichen in die Zeit um 1700 zurück, als sich vereinzelt Schutzjuden im Ort ansiedelten. Im Jahr 1787 zählte die Gemeinde 24 Mitglieder. 1817 wurden bereits 22 jüdische Haushalte verzeichnet. Wenig später erreichte die Gemeinde mit 124 Mitgliedern ihre maximale Größe. Danach reduzierte sich die Anzahl der Gemeindemitglieder bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf 56 Personen. Nach dem 2. Weltkrieg bestand in Giebelstadt 1948/49 ein Lager für jüdische Flüchtlinge, sog. Displaced Persons.
Systematische Entrechtung, wirtschaftliche Boykotte und der wachsende Verfolgungsdruck hatten Teile der jüdischen Bevölkerung zwischen 1933 und 1941 zur Abwanderung aus Giebelstadt veranlasst. 16 Gemeindemitgliedern gelang die Flucht ins Ausland, nach Palästina (6), Argentinien (5), in die USA (4) und die Schweiz (1). Mindestens 19 weitere Menschen zogen früher oder später ins benachbarte Würzburg, von wo nur noch fünf Personen die Emigration gelang. Mindestens sieben Jüdinnen und Juden verstarben zwischen 1933 und 1941 in Giebelstadt (3) bzw. in Würzburg (4). Ein junger Mann wurde kurz vor Kriegsende in Würzburg von einem Tiefflieger tödlich getroffen, eine Frau Opfer der Krankenmorde.
Die letzten fünf im Ort verbliebene Jüdinnen und Juden wurden im März 1942 über Kitzingen nach Izbica im besetzten Ostpolen deportiert. Das gleiche Schicksal ereilte sieben weitere Menschen, die ab 1936 nach Würzburg gezogen waren und dort in unterschiedlichen Sammelunterkünften leben mussten. Vier von ihnen wurden im November 1941 nach Riga-Jungfernhof, drei weitere im September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ein weiterer Mann gehört ebenfalls zur Gruppe der Riga-Deportierten. Da er 1940 eine Würzburgerin heiratete und dort mit ihr lebte, wird er den Würzburger Opfern zugerechnet. Er überlebte die Deportation und kehrte nach dem Krieg mit Frau und Kind nach Würzburg zurück. Somit sind für Giebelstadt mindestens 13 Opfer der Shoa und ein Kriegsopfer zu beklagen, darunter fünf Kinder und Jugendliche. Das Ehepaar mit der konvertierten Frau überlebte die Verfolgung im Ausland / im Versteck und wohnte nach 1945 wieder in Giebelstadt.
Giebelstadt beteiligt sich mit zwei Gepäckstücken am Projekt „DenkOrt Deportationen“. Das lokale Gepäckstück erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden von Giebelstadt und Allersheim. Ein Duplikat befindet sich in Würzburg und bildet zusammen mit denen anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zu den jüdischen Gemeinden und zum “DenkOrt”.
Standort des Koffers in Giebelstadt: Mergentheimer Straße / Marktplatz
Ausführliche Informationen zur jüdischen Gemeinde Giebelstadt
Quellen zu den Gemeindeartikeln
© Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries
Shoa-Opfer, die 1933 in Giebelstadt gelebt hatten
Berthold Baumann (1934 – 1942)
Hedwig Baumann, geb. Heinemann (1901 – 1942)
Leo Baumann (1906 – 1942)
Gitta Krämer (1904 – 1940)
Henriette Krämer (1864 – 1942)
Ida (Jette) Mannheimer, geb. Neumann (1878 – 1942)
Sally Mannheimer (1926 – 1945)
Günther (Karl Günter) Pollak (1926 – 1941/1942)
Klara Pollak, geb. Günther (1889 – 1941/1942)
Manfred Pollak (1928 – 1941/1942)
Margot Pollak (1929 – 1941/1942)
Selma Pollak (1887 – 1941/1942)
Betty Schmidt, geb. Weinmann (1897 – 1942)
Rudolf Schmidt (1897 – 1942)
Überlebender
Leopold Pollak (1891 – 1979) (zu Würzburg gezählt, da dort verheiratet)