Jüdische Gemeinde Prichsenstadt
Zu Beginn der NS-Herrschaft im Jahr 1933 lebten in Prichsenstadt 51 jüdische Bürgerinnen und Bürger. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde begann jedoch schon etwa 500 Jahre zuvor. Seit 1413 sind für das 15. und 16. Jahrhundert bis zu je acht Familien nachweisbar, die eine bedeutende Rolle als Kreditgeber u.a. für die Herrschenden der Region spielten. In den folgenden Jahrhunderten ging die Zahl der jüdischen Familien auf drei bis vier zurück. Sie besaßen Häuser, aber kein Ackerland (1734) und trafen sich in einem Betraum im Haus des Falk.
Nachdem die Gemeinde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewachsen war, reichten ihre Räumlichkeiten nicht mehr aus. Sie kaufte 1787 ein Haus und baute es als Synagoge mit Unterrichtsraum und Lehrerwohnung um. 1801 zählte die Gemeinde 11 Familien mit 42 Personen. Im Unterschied zu anderen Orten stieg diese Anzahl im Laufe des 19. Jahrhunderts leicht und kontinuierlich bis auf 68 Personen an, um seit 1900 in kleinen Schritten wieder zurückzugehen. Die inzwischen baufällige Synagoge musste abgerissen werden. Erst nach einigen Jahren konnte die Gemeinde 1912 ein neues Gebäude für die Synagoge mit Lehrerwohnung und Schulraum errichten.
Die Wirtschaftsboykotte seit Beginn der NS-Diktatur 1933 sowie die systematische Entrechtung und weitere Repressionen trafen die Gemeinde schwer. Eine Familie wanderte sofort 1933 nach Palästina aus. Viele andere warteten jedoch erst einmal ab. Erst ab 1937, und dann besonders 1938 und 1939 verließen viele jüdische Einwohner:innen endgültig die Stadt. So emigrierten bis zum Spätsommer des Jahres 1941 insgesamt 26 Personen, davon die meisten in die USA (19), weitere nach Palästina (3), Großbritannien (3) sowie nach Spanien (1). Mindestens fünf zogen in andere Orte des Deutschen Reiches. Darüber hinaus verstarben zwischen 1934 und 1941 acht Personen.
Am 10. November 1938 kamen SS-Männer in Zivil sowie SA-Männer von außerhalb, demolierten zusammen mit Ortsbewohnern das Innere der Synagoge, verwüsteten die Lehrerwohnung und warfen alle Fenster ein. Das Inventar aus der Synagoge und der Schule sowie das Ritualgerät verbrannten sie auf dem Marktplatz. Acht Jüdinnen und Juden wurden festgenommen, davon zwei Männer später ins KZ Dachau verschleppt. Die übrigen jüdischen Bewohner:innen wurden auf Befehl des Bürgermeisters in der Turnhalle eingesperrt, während ihre Häuser durchsucht wurden.
1939 befahl der Bürgermeister allen jüdischen Hausbesitzern, ihre Immobilien unter Wert zu verkaufen. Ihre Bewohner mussten in Sammelquartiere umziehen. Die letzten zehn im Ort verbliebenen Personen wurden 1942 über Würzburg deportiert: im April nach Krasniczyn im besetzten Polen (7) sowie im September in das Ghetto Theresienstadt (3). Niemand von ihnen überlebte. Fünf weitere Menschen ereilte dieses Schicksal an ihren neuen Wohnorten in Deutschland, von denen nur ein junger Mann überlebte. Zwei Männer kamen durch individuelle Verfolgung ums Leben, sie begingen Suizid. Insgesamt sind in Prichsenstadt damit 16 Opfer der Shoa zu beklagen, darunter vier Jugendliche oder junge Erwachsene.
Das Gepäckstück in Prichsenstadt erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden aus Prichsenstadt und dem heutigen Ortsteil Altenschönbach. Ein identisches Gepäckstück befindet sich in Würzburg und bildet zusammen mit denen anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zum “DenkOrt” und zu den Deportationen.
Der DenkOrt-Koffer in Prichsenstadt ist vor dem Eingang zum Stadtfriedhof aufgestellt.
Ausführliche Informationen zur jüdischen Gemeinde Prichsenstadt
Quellen zu den Gemeindeartikeln
© Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries, 2025; mit Unterstützung von Wolf-Dieter Gutsch
Shoa-Opfer, die 1933 in Prichsenstadt gelebt hatten
Frieda Fleischmann, geb. Strauß (1895 – 1942)
Inge Fleischmann (1924 – 1942)
Max Fleischmann (1892 – 1934)
Trude Fleischmann (1927 – 1942)
Bernhard Frank (1865 – 1942)
Bertha Frank, geb. Fleischmann (1870 – 1943)
Ilse Jette Hahn (1922 – 1942)
Berta Künstler (1901 – 1942)
Gretchen Künstler, geb. Silbermann (1877 – 1942)
Helene Künstler, geb. Maier (1908 – 1943)
Justin Künstler (1911 – 1942)
Pauline Künstler (1870 – 1943)
Marta Löwenberger, geb. Schülein (1884 – 1942)
Gretchen Reich, geb. Schönwalter (1895 – 1942)
Max Reich (1884 – 1937)
Willi Reich (1922 – 1945)
Überlebender der Deportationen
Otto Siegfried Hahn (1923 – 1999)