Jüdische Gemeinde Wiesenfeld, heute ein Ortsteil von Karlstadt

1933 zählte die jüdische Gemeinde in Wiesenfeld 58 Personen. Ihre Wurzeln reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück, als sich vereinzelt Schutzjuden im Ort niederließen. 1655 lebten vier jüdische Familien mit etwa 20 Personen in Wiesenfeld, dessen Grundherrschaft mehrere ritterschaftliche Familien innehatten. Am Ende des Jahrhunderts waren es bereits 14 Familien mit 61 Personen. Im 18. Jahrhundert lebten 16 jüdische Haushalte unter dem Schutz der Freiherren von Hutten zu Steinbach im Ort und ein bis zwei unter dem Schutz des Hochstifts. Im Jahr 1848 erreichte die Gemeinde mit 125 Mitgliedern ihre maximale Größe und schrumpfte in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich. Im Jahr 1925 zählte man noch 65 Personen. Wenig später wurde hier 1928 die bekannte US-amerikanische Sexualwissenschaftlerin Ruth Westheimer als Karola Siegel geboren. Kurz darauf zogen ihre Eltern mit ihr nach Frankfurt a.M. Sie überlebte die Shoa als Kind in der Schweiz, während ihre Eltern im besetzten Osteuropa ermordet wurden.

Trotz systematischer Entrechtung, wirtschaftlicher Boykotte und wachsenden Verfolgungsdrucks seit 1933 verließen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Wiesenfeld zunächst nur vereinzelt. Wenige Personen zogen hingegen übergangsweise zu Verwandten zu und konnten von Wiesenfeld aus emigrieren. Sechs Menschen starben nach 1933 eines natürlichen Todes. Auch in Wiesenfeld kamen SA-Leute am 10. November aus Orten der Umgebung und rissen die zunächst zögernden Ortsbewohner mit. In den jüdischen Häusern zerstörten sie Einrichtungen, Hausrat und Lebensmittel, plünderten Geschäfte und verbrannten vieles außerhalb des Ortes. Das Innere der Synagoge wurde von ihnen verwüstet, die Thorarollen und die Einrichtung auf der Straße verbrannt

Vermehrt seit 1938 und dann besonders 1939 floh knapp die Hälfte der Wiesenfelder Jüdinnen und Juden ins Ausland. 24 Personen gingen zwischen 1933 und 1940 in die Emigration in die USA (11), nach Palästina (8), Großbritannien (1), Shanghai (1), Bolivien (1) sowie in die Schweiz (1), in einem Fall ist das Ziel unbekannt. Nur vier Personen zogen innerhalb Unterfrankens um und wurden aus Karlstadt und Würzburg deportiert, ein junger Mann wandte sich nach Frankfurt und konnte wohl von dort emigrieren.

Ein Mann, der bereits nach dem Novemberpogrom im KZ Dachau inhaftiert gewesen war, wurde im Mai 1940 erneut verhaftet. Im November 1940 starb er im KZ Dachau. Bereits beim ersten Deportations-Transport im November 1941 aus Würzburg nach Riga-Jungfernhof war ein Ehepaar aus Wiesenfeld betroffen. Das gleiche Schicksal ereilte 19 weitere Jüdinnen und Juden in Wiesenfeld, als sie im März 1942 über Kitzingen nach Izbica im besetzten Ostpolen verschleppt wurden. Die letzten sechs Jüdinnen und Juden mussten im Juni 1942 von Wiesenfeld in eines der Würzburger Sammelquartiere umziehen und wurden im September von dort nach Theresienstadt deportiert. 27 Menschen wurden also insgesamt aus Unterfranken verschleppt. Drei von ihnen überlebten in Theresienstadt. Somit sind für Wiesenfeld 25 Opfer der Shoa zu beklagen, darunter drei Jugendliche.

Wiesenfeld beteiligt sich – wie auch die Karlstädter Stadtteile Laudenbach und Karlstadt – mit zwei Koffern am Projekt „DenkOrt Deportationen“. Das lokale Gepäckstück erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden des Ortes. Der zweite Koffer befindet sich in Würzburg und bildet mit den Gepäckstücken anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zum “DenkOrt” und zu den Deportationen.

Angaben zum Standort des DenkOrts in Wiesenfeld folgen zu gegebener Zeit.

Ausführliche Informationen zur jüdischen Gemeinde Wiesenfeld
Quellen zu den Gemeindeartikeln

© Recherche und Text: Nathalie Jäger & Rotraud Ries

 

Shoa-Opfer, die 1933 in Wiesenfeld gelebt hatten

Arthur Bamberger (1925 – 1942)
David Bamberger (1889 – 1942)
Jette Bamberger, geb. Ring (1895 – 1942)
Meta Bamberger, geb. Strauß (1909 – 1944/1945)
Siegfried Bamberger (1896 – 1942/1943)
Ernestine Baum (1881 – 1942)
Max Baum (1879 – 1942)
Moses Baum (1892 – 1942)
Bernhard Baumann (1892 – 1942)
Julius Baumann (1894 – 1942)
Marga Baumann (1924 – 1924)
Selma Baumann, geb. Langgut (1894 – 1942)
Ida Hanauer (1917 – 1942)
Moses Hanauer (1875 – 1943)
Pauline Hanauer, geb. Sternheimer (1874 – 1943)
Phillipp Hanauer (1893 – 1942)
Rosa Hanauer, geb. Goldschmidt (1874 – 1942)
Sali/ Sally Hanauer, geb. Dillenberger (1887 – 1942)
Sally Hanauer (1881 – 1940)
Mina Kahn (1892 – 1942)
Emilie Emma Rosenberger, geb. Löwentritt (1880 – 1942)
Bertha Steigerwald (1923 – 1942)
Flora Fanny Stern (1891 – 1942)
Heinemann Hugo Stern (1881 – 1942)
Mathilde Stern, geb. Sichel (1887 – 1942)

Überlebende
Olga Baumann, geb. Hanauer (1866 – 1950)
Gustav Steigerwald (1878 – 1959)
Selma Steigerwald, geb. Braunold (1885 – 1946)